IN.PUNCTO im Interview mit Managing Partner Mark Zluhan zur Krankenhausreform, den damit verbundenen Risiken und einem daraus resultierenden Restrukturierungsbedarf
Januar 2025
HHC und Angermann Consult & Valuation GmbH (ACV) arbeiten eng bei notleidenden Gesundheitsbetrieben und -immobilien zusammen. Im Interview mit IN.PUNCTO äußert sich Managing Partner Mark Zluhan zur aktuell stattfindenden kalten Strukturbereinigung, erheblichen Risiken aus der zukünftigen Krankenhausreform sowie dem daraus resultierenden Restrukturierungsbedarf im Krankenhaussektor.
Wie beurteilen Sie die Situation im Sektor Health Care / Gesundheit in Deutschland im Allgemeinen?
Grundsätzlich ist der Gesundheitsmarkt wenig zyklisch und aufgrund der Demographie und des medizinischen Fortschritts in aller Regel mit 3% p.a. stabil wachsend. Durch die COVID Pandemie wurde die Relevanz eines gut ausgestatteten Gesundheitswesens mit den Krankenhäusern an der Spitze der Versorgung allen Beteiligten besonders bewusst. Es wurden erhebliche öffentliche Mittel für die Versorgung und die Aufrechterhaltung der Krankenhausbetriebsbereitschaft zur Verfügung gestellt und nicht nur der Krankenhaussektor, sondern auch Rehabilitations- und Pflegeheimbetriebe wurden für nicht ausgelastete Kapazitäten über Erlöspauschalen partiell kompensiert. Diese Phase hat allerdings in 2022 geendet und viele Leistungserbringer sehen sich nach der Pandemie mit neuen Realitäten konfrontiert.
Mit welchen neuen Realitäten müssen sich die Marktteilnehmer auseinandersetzen?
Auf der Marktseite sehen wir das Phänomen, dass die Fallzahlen zum Teil in allen Sektoren wie Krankenhäuser, Reha-Kliniken, Pflegeheime und Medizinische Versorgungszentren nicht das Ausgangsniveau aus 2019 erreichen, sodass viele Leistungserbringer schlechte Auslastungsgrade aufweisen und wirtschaftlich stark leiden. Dieser Umstand ist teilweise auch dadurch bedingt, dass Personal durch die Pandemie aus dem Gesundheitswesen abgewandert ist, die Baby Boomer zunehmend in Rente gehen und der Nachwuchs nur auf bedingt attraktive Strukturen trifft. Hinzu kommen die massiven Kostensteigerungen für Energie, Sachkosten und Personal, die durch die aktuellen Vergütungsstrukturen lediglich bedingt kompensiert werden.
Wie beurteilen Sie die in 2024 verabschiedete Krankenhausreform?
Die Zielsetzungen stärker zu spezialisieren und viele kleine Krankenhäuser zu fusionieren und verstärkt auf Qualität zu setzen, ist sicherlich richtig. In der Umsetzung und in den derzeit erkennbaren Entwicklungslinien sind offensichtliche Webfehler vorhanden, die dazu führen, dass die Zielsetzungen ggf. konterkariert werden, massive Verwerfungen ausgelöst werden und Fehlanreize vorprogrammiert sind.
Laut Bundesgesundheitsminister Lauterbach bekommen Krankenhäuser durch die Reform wieder eine Perspektive. Ist das so?
Die Verunsicherung bei den Marktteilnehmer ist derzeit sehr groß, weil die Stoßrichtung der Reform dazu führt, dass die großen Krankenhäuser in Ballungszentren und die Universitätskliniken tendenziell profitieren und die kleineren Krankenhäuser in den Flächenlandkreisen negativ tangiert sind. Eigentlich müsste die Reform stärker darauf abzielen die Überversorgung in den Ballungszentren und die partielle Unterversorgung in den Flächenlandkreisen in eine bessere Balance zu bringen. Insofern kommt es sehr darauf an, wie die Reform und die noch ausstehenden Verordnungen durch eine neue Regierung auf Bundesebene konzipiert werden und dann durch die Bundesländer – Krankenhausplanung ist eben Aufgabe der Länder – umgesetzt wird. Wir sehen bereits heute eine Vielzahl von Klagen durch Krankenhäuser und Trägergruppen, die sich gegen Leistungsverbote und -beschneidungen zur Wehr setzen. Der Ausgang dieser Verfahren ist völlig offen.
Gewährleistung von Versorgungssicherheit (Daseinsvorsorge), Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität sowie Entbürokratisierung sind die drei zentralen Ziele, die im Gesetz zur Krankenhausreform formuliert wurden. Sind diese Ziele mit den neuen Rahmenbedingungen für Sie umsetzbar?
Die diskutierte Abkehr vom DRG-System oder sagen wir besser die Ergänzung um eine dritte Finanzierungssäule (neben dem Pflegebudget) über die Finanzierung der Vorhaltekosten hat das Potential sich zum Bürokratiemonster zu gerieren. Es ist überdies ordnungspolitisch ein massiver Fehlanreiz die Überversorgung in den Ballungszentren mit Vorhaltekosten für alle Krankenhaustypen zu konservieren. Vorhaltefinanzierung ist lediglich in Krankenhäusern von Flächenlandkreisen sinnvoll, die aufgrund der ganz normalen Spezialisierung in der Medizin und durch den Sog der großen Kliniken in den Ballungszentren den bisherigen DRG-Mengen-Wettbewerb systemisch nicht überleben. Lediglich der Myokard-Infarkt und der Schlaganfall sind wirklich zeitkritische Notfall-Behandlungen, die in der Fläche einer gut ausgestatteten Medizin (Herzkatheter-Labor und Stroke unit mit der Möglichkeit zur Thrombektomie) bedürfen. Derzeit gehen die Ansätze leider tendenziell in die Richtung Basisversorgung (Level 1n) und noch schlimmer pflegerisch geführte Krankenhäuser (Level 1i) in der Fläche zuzulassen. Ersteres führt dazu, dass die Behandlungsqualität in den Flächen bei echten Notfällen in einigen Regionen mit langen Wegen sogar sinken könnte. Letztere sind als Krankenhaus eine echte „Mogelpackung“, da lediglich niedergelassene Ärzte und Pflegkräfte vor Ort sein sollen und noch kleinere Einrichtungen als derzeit entstehen sollen. Niemand wird darin wirklich investieren, da kaum Diagnostik 24/7 geleistet und eine qualitativ gesicherte Versorgung gar nicht möglich wird.
Mit welchen Beratungsdienstleistungen unterstützt HHC gemeinsam mit Angermann Consult Mandanten aus dem Gesundheitswesen?
Gemeinsam mit Angermann unterstützen wir alle medizinischen Leistungserbringer bei wirtschaftlichen Schieflagen. Das können sowohl Großkrankenhäuser mit mehr als 700 Betten in Ballungszentren als auch mittelgroße und kleine Krankenhäuser in Flächenlandkreisen sein. Häufig betreuen wir auch gemeinsam Rehabilitationskliniken, Pflegeeinrichtungen und medizinische Versorgungszentren aller Fachrichtungen. Es sind manchmal ganze Portfolien bzw. Gruppen oder auch Einzeleinrichtungen. Angermann fokussiert sich häufig auch auf die Fortführung der Finanzierung der Immobilieninfrastruktur und die HHC hat die Expertise die Betriebe strategisch und prozessual erfolgreich aufzustellen. Häufig folgen einem Sanierungsgutachten die Fortführung der Finanzierung sowie die Optimierung der betrieblichen Strukturen. Ab und an folgen daraus auch M&AMandate.
Inwieweit stellt die Beratungsunterstützung im Gesundheitswesen eine besondere Herausforderung dar?
Gesundheitsmandate sind in aller Regel hochpolitisch, da häufig öffentliche Träger in schwieriges Fahrwasser geraten, das Krankenhaus häufig den größten Arbeitgeber der Region darstellt sowie die Aufsichtsgremien politisch besetzt sind und oftmals auch ideologisch motiviert sind. In der Umsetzungsphase in den Betrieben müssen die Mediziner und die Pflegekräfte für die neue Strategie gewonnen werden, dies benötigt bei Einschnitten und bei zwingend notwendigen Veränderungen in den Managementstrukturen durchaus Überzeugungskraft und Akzeptanz.
Wie gelingt es die Mitarbeiter in den jeweiligen Gesundheitsorganisationen einzubinden und zur aktiven Unterstützung zu motivieren?
Frühzeitige Teilhabe, absolute Transparenz und systematische Kommunikation im Sanierungsprozess sind wichtige Schlüsselfaktoren. Unser übergeordnetes Ziel ist es stets den Gesundheitsbetrieb wirtschaftlich zu retten. Wir arbeiten seit Jahren nach dem Prinzip der „self-discovered logic“ und beziehen die ärztlichen, kaufmännischen und pflegerischen Führungskräfte in die Markt- und Wettbewerbsanalyse, die strategische Maßnahmenentwicklung und in die Umsetzung mit ein.
Vor welchen Herausforderungen stehen Krankenhäuser und andere Organisationen im Gesundheitswesen aktuell konkret?
Eine Herausforderung ist derzeit die große Unsicherheit bezüglich der Auswirkungen durch die Reform. Aber vielen Leitungserbringern läuft aktuell schlicht die Liquidität weg. Die Banken sind ebenfalls sehr zurückhaltend und nicht alle Krankenhäuser werden aus den kommunalen Haushalten bei Schwierigkeiten alimentiert. Besonders hart trifft es auch frei-gemeinnützige Krankenhäuser, die oftmals kleine bis mittelgroße Betriebsstrukturen aufweisen und über geringe Rücklagen und Substanz verfügen. Die finanziellen Auswirkungen der Reform durch Leistungsbeschneidungen werden frühesten 2026 wirklich zu spüren sein. Die strategischen Stoßrichtungen sind allerdings unverändert und fokussieren sich auf Wachstums-, Prozess-, Qualitäts- und Produktivitätsverbesserungen.
Viele Organisationen im Gesundheitssektor besitzen anspruchsvolle Betriebsimmobilien (Pflegeheime, etc.). Welche Herausforderungen ergeben sich hieraus?
Die Immobilien in der Gesundheitsbranche sind in aller Regel nicht fungibel, sodass Umnutzungen schwierig sind. Gleichzeit verfügen die Krankenhäuser häufig über große Grundstücke, die sich hervorragend für Immobilienprojektentwicklungen eignen. Wir betreuen u.a. Konversionsprojekte von Klinikgeländen, wo neue bedarfsorientierte Nutzungskonzepte für Pflege, Betreutes Wohnen, Inklusives Wohnen, gefördertes Wohnen und ganze Quartiere neu entstehen.
Inwieweit sind ein profitables Wachstum und Produktivitätssteigerungen hierzulande überhaupt möglich?
Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, die häufig durch rein öffentliche Strukturen geprägt sind, zeichnet sich die deutsche Kliniklandschaft durch die heterogene Trägervielfalt aus. Bei identischen Vergütungssystemen sind private Betreiber in der Lage positive Renditen zu erwirtschaften, während öffentliche Träger häufig Verluste verzeichnen. Insofern sind beim Einsatz des richtigen Instrumentariums Produktivitätssteigerungen von 10 – 25% sehr oft möglich.
Können Sie Beispiele nennen, wie dies gelingt, und welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen?
Eine operative Sanierung beginnt mit einer Markt- und Wettbewerbsanalyse, einem strategischen Medizinkonzept, zeigt die Prozesspotentiale auf und reduziert die Kostenposition an den auffälligen Stellen. Die mündet in eine bauliche Masterplanung und in ein Finanzierungskonzept. Heutzutage verfügen wir über ein umfassendes Krankenhausbenchmarking und können die Potentiale schnell identifizieren. Die größere Herausforderung ist dann die Umsetzung des Maßnahmenkatalogs in der Organisation, die sich oftmals über mehrere Monate bzw. Jahre hinzieht.
Wie groß ist der Beratungsbedarf aktuell und inwieweit erhöht er sich durch die Krankenhausreform?
Große Unsicherheiten und wirtschaftliche Schwierigkeiten sind selbstverständlich ein Push für die Beratungsbranche und jede Reform produziert zwangsläufig Gewinner und Verlierer. Rechtzeitig die richtigen Fragestellungen zu definieren, in Szenarios zu denken und strategisches Handeln bei allen Unsicherheiten dennoch umzusetzen, trägt tendenziell dazu bei zu den Gewinnern zu gehören.
Geordnete Umgestaltung der Krankenhauslandschaft oder unkontrolliertes Kliniksterben. Welches Szenario ist realistischer?
Es ist vollkommen klar, dass die Wirkung der Reform viel zu spät kommt und die kalte Strukturbereinigung die Reform derzeit überholt. Gleichzeitig werden sich viele potentielle Verlierer gegen
Leistungsverbote und -ausgrenzungen auch rechtlich zur Wehr setzen, sodass die von Lauterbach als Art Revolution beschriebene Reform in ihrer Wirkung verpuffen könnte. Ein grundsätzliches
Missverständnis liegt schon vor, weil man mit der Lauterbach’schen „Entökonomisierung der Krankenhausversorgung“ den Wettbewerb ausbremst und damit das System perspektivisch noch teurer macht. Am Ende werden die Steuerzuschüsse des Bundes und die Selbstzahleranteile der Patienten weiter zunehmen, um die Sozialversicherungskosten und damit die Arbeitskosten einigermaßen in der Balance zu halten. Insbesondere die aufgestellten Regulierungshindernisse für Investoren im ambulanten Bereich sowie die völlig losgelöste Krankenhausplanung von der Planung der Kassenärztlichen Vereinigungen verhindern im Grunde das Entwickeln von effizienten ambulanten und stationären Organisationsstrukturen und das Denken in intersektoralen Versorgungspfaden.
Wie beurteilen Sie den derzeitigen Bedarf an geordneten Fusionen und Übernahmen im Gesundheitssektor?
Der Fusionsbedarf wird in den nächsten Jahren sicher deutlich zunehmen und auch die Privatisierung von Kliniken wird durch Liquiditätsengpässe und strategische Krisen wieder mehr an Dynamik gewinnen, wobei manche Krankenhäuser keinen Übernehmer mehr finden und stattdessen die Nachnutzung der Immobilieninfrastruktur zu analysieren und umzusetzen sein wird.
Wie beurteilen Sie die Erfolgschancen des KHVVG?
Ich möchte niemandem den guten Willen und die richtigen Ziele absprechen, aber wie schön häufig erlebt, sind die gesetzgeberischen Reformmaßnahmen oft schlecht für die Praxis durchdacht,
sodass die Ziele sich nicht ansatzweise realisieren lassen oder gar zu Kontraindikationen führen. Im konkreten Fall besteht die Gefahr, dass am Ende die benötigte Marktbereinigung gar nicht oder an den falschen Stellen stattfindet und die Vergütungsreform die Bürokratie fördert, einen gesunden Wettbewerb einschränkt und die falschen Anreize setzt. Am Ende leidet die Attraktivität für das Personal, das Management und eine geringere Effizienz im System führt perspektivisch zur Rationierung und zu Wartelisten. Eine neue Regierung wird deshalb substanziell das KHVVG nachjustieren müssen.